Katzen mit Handicap

Der einäugige König -

Leo's Story

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra" 10/99

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Leo ist der beste Fliegenfänger im Haus, obwohl er wahrscheinlich nicht räumlich sehen kann. Irgendwie schafft er es trotzdem, seiner Halbschwester alles vor der Nase wegzufangen. Wenn es allerdings nach der Tierärztin gegangen wäre, gäbe es Leo heute nicht.

Leo stammt aus einem sechsköpfigen Maine-Coon-Wurf. Als seine Geschwister die Augen öffneten, konnte er nur ein Auge aufmachen. Was seine Züchterin schon geahnt hatte, bewahrheitete sich bei einem Tierartztbesuch: das geschlossene Auge war ausgekratzt. Eine Narbe vom inneren Augenwinkel bis zur Lippe stammte von einer Katzenkralle. Ob seine Mutter ihn versehentlich getreten hat, oder ob eine andere Katze der Übeltäter war, ließ sich nicht mehr feststellen."Mit einem Auge kann er doch nie richtig spielen, den können Sie doch höchstens verschenken, soll ich ihn nicht lieber einschläfern?"fragte die Tierärztin. Natürlich kam das nicht in Frage, denn der Kater war ansonsten putzmunter.

Leo, der damals noch O'Melly hieß, entwickelte sich sehr gut, zeitweilig war er der Schwerste im Wurf. Von seiner Einäugigkeit bemerkte man im Spiel nicht das Geringste, er fing zielsicher die Spielzeugmäuse und hatte keine Angst, vom Kratzbaum zu springen. Nur beim Fressen stellte er sich etwas dumm an: die Schnauze steckte er tief in das Naßfutter und saugte wie ein kleiner Staubsauger alles in sich hinein. Trockenfutter (heute sein Lieblingsfutter) konnte er gar nicht fressen. Putzen fand er nicht wichtig und so sah er immer wie ein kleiner Dreckspatz aus, bis sich seine Mutter, oder eine andere Katze im Haus, den Kleinen vornahm und gründlich wusch.

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Gleich die ersten Interessenten verliebten sich in ihn, genau gesagt der Mann. Die andere Ehehälfte wollte unbedingt ein Mädchen zur Zucht. Nach kurzer Überlegung war klar: Leo geht zusammen mit seiner Halbschwester aus dem älteren Wurf in ein neues Zuhause. In dem schönen großen Haus mit eingezäunten Freigehege eroberte er die Herzen von drei Kindern und einer Großmutter (die eigendlich keine Katzen im Haus mag) im Nu, sogar die beiden Dackel adoptierten ihn und seine Halbschwester schnell.

Leo wurde ein imposanter roter Kater von ungebrochener Vitalität. Daß er schon früh kastriert wurde, hielt ihn nicht davon ab, Wochen später seine Halbschwester zu decken. Er konnte ja nicht mehr zeugen, aber alles andere funktionierte einwandfrei, wie man am lauten Deckschrei merken konnte. Inzwischen ist er Onkel geworden und er nimmt seine Pflichten sehr ernst, z.B. zeigt er den Kleinen wie man Fliegen fängt oder wie man Unsinn macht. Nur wenn sie an seinem Bauch nach Zitzen suchen, wird es ihm zu viel.

Das verstümmelte Auge kann er inzwischen aufmachen. Es ist etwas kleiner und zeigt eine milchigblaue Farbe, so daß man auf den ersten Blick denkt einen odded eye Kater vor sich zu haben. Sah er als Baby eher wie ein kleiner "Quasimodo" aus, so wird er heute von Besuchern bewundert. Selbstbewußt und freundlich geht er auf jeden zu, denn er weiß ganz genau, wie sehr er geliebt wird.

Nachtrag: Leider wurde Leo dann doch von seiner Besitzerin weitergegeben. Schade, dass ich mich in ihr getäuscht habe. Ich hoffe, dass er es in seinem neuen zuhause gut hat.