Ganz der Papa-oder doch nicht?

von Raymonde Harland

erschienen in "katzen extra" 11/97+

"Schweizer Katzenmagazin" 1/98

 
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Eine alte Züchterweisheit will wissen, der Kater "schlage bei den Nachkommen mehr durch" als die Kätzin, womit gemeint ist, der Vater übe einen größeren genetischen Einfluß aus als die Mutter. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.

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Tatsächlich ist es sogar so, daß von der Mutter mehr DNA vererbt wird, als vom Vater! Bei der Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln am Anfang dieses Jahrhunderts fielen dem Forscher Correns einige Unregelmäßigkeiten auf. Er experimentierte mit der japanischen Wunderblume, Mirabillis jalapa. Wenn er eine weiß-grün-gescheckte Pflanze mit den Pollen einer grün aussehenden Pflanze bestäubte, so erhielt er in der Tochtergeneration Pflanzen mit grünen, weißen und gescheckten Blättern. Kreuzte man die gescheckten Pflanzen untereinander, so waren alle Pflanzen der zweiten Tochtergeneration gescheckt. Correns führt nun die umgekehrte Kreuzung durch. Er bestäubte eine grüne Pflanze mit den Pollen einer gescheckten Pflanze. Alle Nachkommen waren grün. Dies widersprach den Beobachtungen Mendels, nach denen es gleichgültig ist, welche Pflanze der Pollenspender ist.

Diese Vererbungsform konnte man sich lange nicht erklären, doch sie kommt auch im Tierreich vor. Das bekannteste Beispiel ist die Kreuzung zwischen Esel und Pferd. Pferd und Esel gehören zwei verschiedenen biologischen Arten an, sind jedoch untereinander kreuzbar. Allerdings sind diese Bastarde aus Pferd und Esel nicht fruchtbar. (Stören Sie sich nicht an der Bezeichnung "Bastard": Sie ist in der Genetik ein gebräuchlicher Fachausdruck für Kreuzungsprodukte von Individuen zweier Rassen oder Arten und enthält nichts Abwertendes!) Nach den Mendelschen Regeln müßte es gleichgültig sein, ob das Vatertier das Pferd oder der Esel ist. Die beiden möglichen Nachkommen sind jedoch unterschiedlich. Die Kreuzung zwischen Pferdestute und Eselhengst führt zum vielseitig verwendbaren Maultier. Das Kreuzungsprodukt von Eselstute und Pferdehengst ist dagegen der kleinere Maulesel. Auch die Hundezüchter kennen dieses Phänomen: Kreuzt man einen schwarzen Schnauzer und eine graue Schnauzerhündin so sind die Kinder in ihrer Farbe unrein. Ist jedoch die Mutter schwarz und der Rüde grau, so sind die Kinder schwarz und nur ein Kenner erkennt die Unterschiede zu einem reinerbig schwarzen Schnauzer. Die Kinder sehen also immer im Phänotyp der Mutter ähnlicher als dem Vater.

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Dieses im Pflanzen- und Tierreich weit verbreitete Phänomen der "mütterlichen Vererbung" kann nur zustande kommen, wenn neben den Genen auf den Chromosomen im Zellkern noch andere DNA weitergegeben wird, und zwar nur von der Mutter.

Und tatsächlich: der Zellkern hat kein Genmonopol. DNA findet sich auch in den Mitochondrien. Mitochondrien sind die "Kraftwerke" der Zelle. Sie produzieren vor allem die energiereiche Verbindung ATP, die in weiteren chemischen Verbindungen die Energie speichert. Mitochondrien verbrennen Zucker zu Kohlendioxid. Mitochondrien enthalten eine eigene DNA Struktur, die ringförmig ist wie bei Bakterien. Dies brachte die Forschung auf die Theorie, daß die Mitochondrien früher einmal eigenständige Einzeller waren, die in die Zelle einwanderten und dort eine für beide Zellen günstige Symbiose eingingen. Für diese Theorie spricht nicht nur die eigene DNA der Mitochondrien, sondern auch die ringförmige Anordnung derselben. Außerdem haben Mitochondrien eine eigene Membran. Es gibt auch noch andere Theorien für das Vorhandensein der Mitochondrien, beweisen ließ sich aber noch keine.

In den Pflanzen übernehmen Chloroplasten dieselbe Aufgabe, wie Mitochondrien in der Tierwelt. Es gibt aber auch Lebewesen, die ohne diese "Kraftwerke" auskommen. z.B. bestimmte Hefe- und Pilzsorten.

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Doch warum wird die DNA der Mitochondrien nur mütterlicherseits vererbt? Nun, Spermien bestehen praktisch nur aus dem Zellkern, der Geisselschwanz wird beim Eindringen in die Eizelle abgeworfen; mit der Eizelle vereinigt wird nur lediglich die Kernsubstanz. In Spermienzellen gibt es natürlich auch Mitochondrien, aber auch die bleiben bei der Befruchtung "draußen vor der Tür". Die Eizelle liefert also vorerst den größten Teil der Aufbaustoffe für die durch Teilung neu entstehenden Zellen. Es liegt also an den nur im Ei vorhandenen mütterlichen Mitochondrien, daß im befruchteten Ei mehr mütterliches DNA vorhanden ist. Diese Erbfaktoren außerhalb des Zellkerns spielen also durchaus eine Rolle, wie man an den oben genannten Beispielen sehen kann.

Die Genetikerin Jean Sugden kannte natürlich die "mütterliche Vererbung" und beachtete sie, als sie die Bengalkatze 1963 kreierte. Deshalb nahm sie einen Hauskater und eine wilde weibliche Bengalkatze um die Wildkatzenzeichnung auf eine domestizierte Katze zu übertragen. Die Bastarde trugen erwartungsgemäß die Zeichnung der wilden Bengal - ihrer Mutter.

In der Natur ist nichts erfolgreicher als der Erfolg. Das System der getrennten genetischen Vererbung im Zellkern geschlechtlich und in den Mitochondrien ungeschlechtlich hat sich bewährt.

Unbestritten ist, daß ein Kater mehr Nachkommen haben kann als eine Katze. Deshalb sollte er besonders hohen Ansprüchen genügen. Ein Kater mit rezessiven Genen für Mißbildungen z.B. kann den Niedergang einer ganzen Rasse bedeuten, wenn er häufig zur Zucht eingesetzt wird. Für die Überbewertung eines Zuchtkaters gegenüber der Kätzin hingegen fehlt, wie oben bewiesen, jede wissenschaftliche Grundlage.